Völkerrechtliche Normen sprechen Menschen zunehmend direkt an. Die Vervielfachung und Ausdifferenzierung völkerrechtsunmittelbarer materieller Rechte und Pflichten des Menschen sowie ihrer prozeduralen Durchsetzungsmöglichkeiten hat nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Bedeutung. Grundthese des Vortrags ist, dass ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat, der den Menschen zum primären Völkerrechtssubjekt macht.
Diese These wird vor dem Hintergrund der Ideengeschichte und Dogmatik der Völkerrechtspersönlichkeit des Menschen entfaltet. Vor allem wird sie aus der Praxis in zahlreichen Teilrechtsgebieten, angefangen vom Recht der internationalen Verantwortung über das Recht des bewaffneten Konflikts, das Recht der Katastrophenhilfe, das internationale Strafrecht, das internationale Umweltrecht, das Konsularrecht und das Recht des diplomatischen Schutzes, das internationale Arbeitsrecht, das Flüchtlingsrecht bis hin zum internationalen Investitionsschutzrecht abgeleitet.
Rechtsgrundlage der Völkerrechtspersönlichkeit (Völkerrechtssubjektivität) des Menschen ist Völkergewohnheitsrecht; seine Völkerrechtsfähigkeit ist außerdem ein allgemeiner Rechtsgrundsatz und bildet einen Aspekt des Menschenrechts auf Rechtsfähigkeit. Die Herausbildung einfacher Rechte und Pflichten des Individuums (im Gegensatz zu den Menschenrechten) intensiviert die bisher schwach ausgeprägte Normenhierarchie im Völkerrecht. Der neue Völkerrechtsstatus des Menschen wird mit dem Begriff des subjektiven internationalen Rechts auf den Punkt gebracht.
Bio
Professor Dr. Anne Peters, LL.M. (Harvard) ist seit 2001 Ordinaria für Völker- und Staatsrecht an der Universität Basel sowie Forschungsdekanin an der Juristischen Fakultät Basel. Seit dem 1. März 2013 ist sie Direktorin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Heidelberg) im Nebenamt.
Anne Peters studierte Rechtswissenschaften, Neugriechisch und Spanisch an den Universitäten Würzburg, Lausanne und Freiburg im Breisgau und an der Harvard Law School. In Freiburg wurde sie mit einer Dissertation zum Gebietsreferendum im Völkerrecht promoviert; 1995-2001 war sie wissenschaftliche Assistentin am Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Dort habilitierte sie sich im Jahr 2000 mit der Schrift „Elemente einer Theorie der Verfassung Europas“.
Ihre Forschungs- und Veröffentlichungstätigkeit betrifft Strukturfragen des allgemeinen Völkerrechts, insbesondere seine Konstitutionalisierung und seine Geschichte, den internationalen und nationalen Menschenrechtsschutz, das europäische Verfassungsrecht, die Verfassungstheorie und Verfassungsvergleichung.
Sie ist Mitglied der Venedig-Kommission für Deutschland. Von 2010 bis 2012 war sie Präsidentin der European Society of International Law. Im Jahr 2009 war sie Gastprofessorin an der Sciences Po in Paris. Derzeit ist sie Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin.
Jenseits der Menschenrechte: Das subjektive internationale Recht
Anne Peters (Basel)
Wissenschaftskolleg zu Berlin, Villa Jaffé, Wallotstr. 10, 14193 Berlin